Dr. Christian Bernard im Interview
© AK Tirol/Friedle
2.7.2025

Pensions-Experte Christian Bernard im Interview: "Totgesagte leben länger"

Christian Bernard, langjähriger Direktor der Landesstelle Tirol der Pensionsversicherung (PV), ist seit Jahrzehnten einer der renommiertesten Experten zum Thema Pensionen. Im AZ-Interview stellt Bernard klar, dass das System seit über 100 Jahren auf sicheren Beinen steht, und fordert mehr Faktenwahrheit und weniger Polemik.

TAZ: Herr Dr. Bernard, es wird viel über die künftige Unfinanzierbarkeit der Pensionen gesprochen und dass die Erhöhung des Antrittsalters, etwa nach dänischem Vorbild, einziges Mittel sei, um die Pensionen zu sichern. Ist Österreichs Pensionssystem wirklich am Ende?
Christian Bernard: Lassen Sie mich dazu kurz ein paar geschichtliche Eckdaten aufführen: Die österreichische Pensionsversicherung wurde 1906 unter Kaiser Franz Joseph I. ins Leben gerufen, überstand zwei Weltkriege, eine Hyperinflation und mehrere Währungsumstellungen, deshalb würde ich sagen: ‚Totgesagte leben länger‘. Wenn man will, oder sich einen Nutzen daraus verspricht, kann man jedes System madig reden, so wie es derzeit wieder der Fall ist. Allerdings ist das nichts Neues. Schon im Jahr 1933 wurde davor gewarnt, dass es unsozial sei, den Versicherten Leistungen zu versprechen, die höchstens während einiger Jahre durchgehalten werden können, im Jahr 1984 sprach man gar über den Zusammenbruch des Pensionssys-tems nach der Jahrtausendwende aufgrund der demografischen Entwicklung und trotzdem werden die Pensionen bis heute ausbezahlt und das System funktioniert. Natürlich braucht es ein vernünftiges Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Pensionisten. Zur Zeit geht natürlich die Baby-Boomer-Generation sukzessive in den Ruhestand, was für einen gewissen Zeitraum zu höheren Belastungen führen wird, aber deshalb ein über 100 Jahre lang funktionierendes System in Frage zu stellen, ist absolut überschießend.

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Zitiert

„Ich wüsste nicht, 
warum angesichts eines Deckungsgrads von 
95 % das System nicht finanzierbar sein sollte."

Dr. Christian Bernard,
Direktor PV

„Sich irgendwelche Zahlen zusammenzurechnen, nur um das System madig zu reden, ist unseriös und unrichtig. “

Dr. Christian Bernard,
Direktor PV



TAZ: Wo liegen die Stärken des österreichischen Pensionssys-tems bzw. seine Schwächen?

Bernard: Wie gesagt, das Verhältnis zwischen Zahlern und Beziehern muss stimmen, hier spielt auch die Frage der kontrollierten Migration eine Rolle, ebenso wie die Beschäftigungssituation in Österreich. Das sind Themen, die man in den Mittelpunkt stellen muss, dann wird es auch zukünftig keine Probleme geben. Zur Verdeutlichung der aktuellen Situation nur ein paar Zahlen aus 2024: Wir hatten letztes Jahr einen Pensionsaufwand von 42,08 Milliarden Euro bei Beiträgen von 39,97 Milliarden, das entspricht einem Deckungsgrad von fast genau 95 Prozent. Ich wüsste also nicht, warum angesichts einer solchen Deckung das System nicht finanzierbar sein sollte. Auch laut den Zahlen der Pensionskommission sind die Bundesmittel, die an die PV überwiesen werden, gemessen am Bruttoinlandsprodukt seit den 1970er Jahren stabil. Man muss die Dinge nur sauber rechnen, fair darstellen und auch auf die Leistungen verweisen, die die Pensionsversicherung zusätzlich erbringt, wie Gesundheitsvorsorge, Rehabilitation, Zahlung der Ausgleichszulage oder den großen Brocken Pflegegeld, dann sieht man, dass die Panikmache völlig unbegründet ist.

TAZ: Kritik am Pensionssystem kommt oft von Forschungsinstituten, die wirtschaftsnahe sind. Wird hier nicht Stimmung gegen das öffentliche Pensionssys-tem gemacht?
Bernard: Hier muss man wohl der Frage nachgehen, wer das finanziert. Wenn ich einen Auftraggeber habe, der aus der Privatversicherung kommt, wird das Ergebnis sein, dass es ohne Eigenvorsorge nicht geht. Aber wie viele können sich das in ihrer derzeitigen Einkommenssituation leisten? Außerdem geht das Geld dann an Einrichtungen, die am Kapitalmarkt tätig sind, meist mit dem Versprechen, Geld ohne Ende zu scheffeln. Das wird sich im globalen Kreislauf nicht ausgehen, außerdem ist das Risiko, dass das Geld quasi versenkt wird, jederzeit gegeben. Das, was unser System so interessant macht, ist gerade das Umlageverfahren. Das Geld, das ich am Monatsersten bekomme, wird im Laufe des Monats ausgegeben, innerhalb weniger Wochen ist das Geld also wieder im Umlauf. Das landet in keinem Fonds oder Aktienpaket, wirtschaftlich gesehen ist das österreichische System eben sehr effizient, weil 100 Prozent der Beiträge direkt in die Leistungen fließen.

TAZ: Schweden, Dänemark oder die Niederlande werden gern als Vorbilder für ein effizienteres Pensionssystem genannt. Ist die Effizienz dort wirklich größer?
Bernard: Man kann diese Systeme nicht in einem Atemzug nennen, das ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Und ich halte es nicht für sinnvoll, über ein derart lang gewachsenes System wie das österreichische ein paar Versatzstücke aus anderen Ländern darüberzuziehen, die einem gerade ins wirtschaftliche oder auch politische Konzept passen.

TAZ: Was halten Sie von dem Vorschlag, nach dänischem Vorbild bis 70 zu arbeiten?
Bernard: Es gibt Berufe, bei denen ein so hohes Antrittsalter wohl möglich wäre, aber es gibt genügend Berufsgruppen, bei denen das eben nicht machbar ist. Es stellt sich auch die Frage, ob es für Junge dann nicht schwieriger wird, in den Arbeitsprozess einzusteigen, wenn Arbeitsplätze später frei werden. Und natürlich wird die Ausbildung entscheidend sein: Gut ausgebildete Facharbeiter werden zwar auch mit höherem Alter gesucht sein, die Quote der Langzeitarbeitslosen wird ein späterer Pensionsantritt aber nicht regeln. Wie gesagt, man darf beim Pensionssystem nicht in eine Kraut-und-Rüben-Rechnung verfallen. Das ist unseriös und auch kein Signal an die Beschäftigten und vor allem an die junge Generation, die gerade ins Berufsleben kommt. Hier sich irgendwelche Zahlen zusammenzurechnen, nur um das System madig zu reden und zu sagen, es sei nicht mehr finanzierbar, ist einfach unrichtig. Vor allem vor dem Hintergrund, dass wir in Österreich vor vier Jahren im Sinne von „koste es, was es wolle“ ein ganzes Jahresbudget ausgegeben haben. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Versorgung der Pensionsbezieher in Österreich ein riesiger Wirtschaftsfaktor ist und wir nicht von Menschen auf dem Abstellgleis sprechen: Wenn die Pensionisten den Konsum einstellen, hat Österreich ein veritables Problem, gerade in der aktuellen Situation. Deshalb plädiere ich für mehr Faktenwahrheit und weniger Polemik.

Zur Person

Dr. Christian Bernard, Jahrgang 1959, ist studierter Jurist und war maßgeblich am Aufbau der Landesstelle Tirol der Pensionsversicherung im Jahr 2003 beteiligt.

Bernard ist seit 2003 Direktor der Landesstelle Tirol der Pensionsversicherung und trat mit Ende Juni 2025 in den 
Ruhestand. Anfang Juli folgt ihm Mag. Markus Niederwieser als neuer Direktor der Landesstelle Tirol nach.

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