FAQ: Stromliefervertrag von TIWAG/IKB gekündigt
Nach dem Scheitern der Verhandlungen der AK Tirol mit der TIWAG gibt es viele Fragen zu Vertragskündigungen. Hier finden Sie Antworten.
Umfeld:
Daher wurde seitens der AK Tirol ein Gutachten in Auftrag gegeben – dem sich die AK Salzburg angeschlossen hat – um die bereits durchgeführten sowie die geplanten Preiserhöhungen und Änderungen der Allgemeinen Lieferbedingungen (ALB) rechtlich prüfen zu lassen.
1. Die neue Rechtslage bei Strompreiserhöhungen
Seit Mitte Februar 2022 gibt es eine neue gesetzliche Regelung, die Stromlieferanten zu Preiserhöhungen gegenüber Verbrauchern ermächtigt (§ 80 Abs 2a ElWOG). Viele Stromanbieter berufen sich auf dieses neue Preiserhöhungsrecht - unter anderem seit Jänner 2023 auch die TIWAG und die IKB.
Nach dieser neuen gesetzlichen Regelung sind Erhöhungen der vertraglich vereinbarten Entgelte bei unbefristeten Verträgen nur dann zulässig, falls die Preisänderung in einem angemessenen Verhältnis zu jenen Umständen steht, die die Ursache für die Preiserhöhung darstellen. Und die Verbraucher müssen über Anlass, Voraussetzung, Umfang und erstmalige Wirksamkeit der Entgeltänderung auf transparente und verständliche Weise schriftlich informiert werden. Nach Zustellung dieser Information können Verbraucher jedenfalls binnen vier Wochen den Vertrag kündigen. Bei derartigen Strompreisänderungen gelten die Bestimmungen des Konsumentenschutzgesetzes kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht (§ 80 Abs 5 ElWOG).
2. Unterschiedliche Stromanbieter – unterschiedliche Strombeschaffungskosten
Die Kostenstrukturen der Stromlieferanten für die Beschaffung des Stromes sind aber ganz unterschiedlich, sie unterscheiden sich vor allem dadurch:
Bei der Auslegung der neuen Regelung stellen sich viele neue Rechtsfragen. Als einfaches Beispiel etwa die Frage, ob ein Stromlieferant mit einem hohen Anteil an eigener Stromerzeugung durch Wasserkraft, die gestiegenen Strompreise an den Spotmärkten für seine Preiserhöhungen heranziehen darf. Oder: Reicht es aus, dass ein Stromanbieter einen Kunden nur darüber informiert, dass sich der Strompreis deshalb erhöht, weil sich die Strompreise an den Börsen erhöht haben oder weil aufgrund des Ukraine-Krieges die Kosten gestiegen sind?
3. Rechtsgutachten im Auftrag der AK Tirol
Zahlreiche Preiserhöhungen und neue Vertragsklauseln der Stromanbieter sind rechtswidrig!
Das von der Arbeiterkammer Tirol Mitte Oktober 2022 in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Herrn Univ.-Prof. Dr. Alexander Schopper, Institut für Unternehmensrecht an der Universität Innsbruck, beantwortet diese Fragen klar und eindeutig:
3.1. Preiserhöhungen sind nur dann und auch dann nur soweit zulässig, als sich die konkreten Kosten beim konkreten Anbieter tatsächlich erhöht haben!
Denn eine derartige Preiserhöhung ist nur aufgrund tatsächlich vorliegender Umstände zulässig, die beim konkreten Anbieter nach Festlegung des ursprünglich vereinbarten Preises die Kosten auch tatsächlich erhöht haben. Wobei auch zu berücksichtigen ist, in welchem Verhältnis die einzelnen Kostenarten zueinanderstehen. Ein Anbieter, der nur einen geringen Teil seines Stromes an den teuersten Spotmärkten zukauft, darf daher nur die Preise soweit erhöhen, wie sich dadurch insgesamt seine gesamten Strombeschaffungskosten gesteigert haben.
3.2. Konsument:innen müssen vor der Preiserhöhung genau und transparent über die konkreten, tatsächlichen und nachträglich eingetretenen preiserhöhenden Umstände informiert werden!
Darüber muss der Konsument transparent informiert werden. Der Anbieter muss daher seinem Kunden genau angeben, welche konkreten Kosten sich bei ihm in welcher Höhe erhöht haben und in welchem Verhältnis diese gestiegenen Kosten zu seinen Gesamtkosten stehen.
3.3. Verletzung der Informationspflicht gegenüber Konsumenten führt zur Rechtsunwirksamkeit der Preiserhöhung!
Verletzt das Unternehmen seine gesetzliche Informationsverpflichtung, dann ist die Strompreiserhöhung jedenfalls rechtsunwirksam und zwar selbst dann, falls sie der Höhe nach tatsächlich gerechtfertigt wäre. Denn durch die unzureichenden Angaben kann der Kunde keine informierte Entscheidung für sein Kündigungsrecht treffen und er kann vor allem auch sein Recht auf Preissenkung nicht durchsetzen, weil er ja nicht weiß, welche konkreten Kosten später wieder in welchem Verhältnis geringer geworden sind.
3.4. Gesetzlicher Ausschluss des Konsumentenschutzgesetzes ist europarechtswidrig!
Die oben genannte Gesetzesbestimmung des § 80 Abs 5 ElWOG, wonach für das neue Strompreis-Änderungsrecht das Konsumentenschutzgesetz nicht gilt, ist europarechtswidrig.
3.5. Eine Preiserhöhung aufgrund der gesetzlichen Strompreisbremse ist unzulässig!
Die gesetzliche „Strompreisbremse“ darf in keiner Weise für eine Rechtfertigung von Preiserhöhungen herangezogen werden.
4. Konkrete Tiroler Fälle
Dies führt bei konkreter Überprüfung einzelner Strompreiserhöhungen sowie der von den Unternehmen neu formulierten Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Tirol zu folgendem Ergebnis:
Änderungen der Geschäftsbedingungen bei TIWAG und IKB: rechtsunwirksam!
Bei den aktuellen Entgeltanpassungsregeln in den Allgemeinen Lieferbedingungen von IKB und wortgleich von der TIWAG wird pauschal auf § 80 Abs 2 ElWOG und § 80 Abs 2a ElWOG verwiesen. Daher greift der Ausschluss der Anwendbarkeit des KSchG nach § 80 Abs 5 ElWOG nicht. Sämtliche Regelungen zu den Entgeltanpassungen der ALB unterliegen der Kontrolle nach dem KSchG und sind daher wegen intransparenter Regelungen rechtsunwirksam. Außerdem können die neuen Allgemeinen Lieferbedingungen der IKB und der TIWAG auch so verstanden werden, dass die Unternehmer frei wählen könnten, einmal den Strompreis nach dem ÖSPI zu erhöhen, das andere Mal nach dem neuen Preisänderungsrecht: Dann sind diese Klauseln ebenfalls intransparent und sogar gröblich benachteiligend und daher rechtsunwirksam.
Strompreiserhöhungen HALL AG und E-Werk Hopfgarten: rechtsunwirksam!
Das vorgelegte Informationsschreiben der HALL AG und des E-Werks Hopfgarten entsprechen nicht den gesetzlichen Anforderungen einer transparenten und verständlichen Information iSd § 80 Abs 2a Satz 3 ElWOG. Die Strompreiserhöhungen sind daher rechtsunwirksam.
WSX-Index der Wörgler Stadtwerke: rechtsunwirksam!
Der WSX-Index der Wörgler Stadtwerke GmbH unterliegt dem Transparenzgebot des KSchG. Es bestehen laut Gutachter erhebliche Zweifel, dass die komplizierte Berechnungsmethode des WSX-Index dem Transparenzgebot entspricht. Für die AK Tirol ist dieser Index klar als intransparent und somit als rechtsunwirksam einzustufen.
Betroffen sind natürlich auch weitere Stromanbieter, die sich derselben Klauseln und Formulierungen zur Erhöhung ihrer Energiepreise bedient haben.
Die AK Tirol fordert daher:
Die AK Tirol fordert alle Stromanbieter auf, Strompreisänderungen ausschließlich entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen durchzuführen und jegliche Strompreisänderungen klar, transparent und nachvollziehbar zu begründen. Dazu haben die Stromanbieter die bestimmenden Kostenfaktoren zu nennen und die Angemessenheit zur tatsächlich angestrebten Strompreisänderung zu belegen. Dazu sind zu diesem Zweck auch die jeweiligen Kostenstrukturen offenzulegen.
Die AK Tirol fordert alle Stromanbieter, welche in den vergangenen Monaten bereits Strompreiserhöhungen durchgeführt haben, auf, ihre Kostenstrukturen offenzulegen und die Strompreisänderungen nachvollziehbar zu begründen.
Die AK Tirol wird dies laufend überprüfen und im Falle von mutmaßlichen Verstößen den Klagsweg beschreiten.
Solange die Kostenstruktur von IKB und TIWAG nicht offengelegt wurde, fordern wir die Energieunternehmen auf, die geplanten Preiserhöhungen ab Juni 2023 zurückzustellen und die Preise im Anschluss nur im absolut notwendigen Ausmaß gemessen an den eigenen Kostenerhöhungen der TIWAG anzupassen.
Der konsumentenrechtliche Schutzstandard sollte auch für Energieversorger in vollem Umfang aufrecht bleiben. Daher fordern wir vom Gesetzgeber die sofortige Aufhebung des unionsrechtswidrigen § 80 Abs 5 ElWOG, der wegen des Ausschlusses der Anwendbarkeit des Konsumentenschutzgesetzes den Verbrauchern ihre Rechte nimmt.
"Was sicher nicht geht ist, irgendeinen Börsen-Index für Entgelterhöhungen heranzuziehen, wenn man als Anbieter tatsächlich völlig andere Bezugsquellen nutzt. Der vereinbarte Index für Entgeltanpassungen spiegelt nämlich die tatsächlichen konkreten Kostensteigerungen der Anbieter überhaupt nicht wider. Es darf nicht sein, dass gerade in der jetzigen Hochpreisphase, in der viele Konsumenten sich kaum mehr das tägliche Leben leisten können zusätzlichen Gewinne auf Kosten aller betroffenen Kunden gemacht werden. Noch dazu bei Energie, auf die alle angewiesen sind", so AK Präsident Erwin Zangerl.
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