Atomkraftwerk
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18.1.2022

Serie Teil 5: Die Kernspaltung wird in Europa zum Streitthema

In der Silvesternacht 2021/22 verschickte die EU-Kommission einen Entwurf der Taxonomie-Verordnung. Darin sollen Atomkraft auf die Grüne Liste gesetzt und Investitionen in Kernkraftwerke gefördert werden – ein EU-Streitpunkt um die Zukunft der Energie. In 13 der 27 EU-Staaten sind  derzeit Atomkraftwerke in Betrieb. Nur zwei Länder haben konkrete Ausstiegspläne.

Neue Serie der Tiroler Arbeiterzeitung: Die andere Seite der Energiewende, Teil 5

Die Welt zitterte, als im März 2011 in Japan die Erde bebte. Flutwellen verwüsteten das Land und ließen die Stromversorgung in vier der sechs Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima ausfallen. Es kam zur Kernschmelze, die große Mengen an radioaktiven Stoffen an die Umwelt freigab. Die Atomkatastrophe forderte rund 600 direkte Todesopfer, 10.000 weitere sollten laut Experten aufgrund der Spätfolgen ums Leben kommen. Heute – über 10 Jahre später – können Bewohner dieser Gegend noch immer nicht in ihre Heimat zurückkehren. Trotzdem spricht sich die Mehrheit der EU-Staaten jetzt dafür aus, Atomstrom als CO2-arme, grüne Energie einzustufen, um die Klimaziele zu erreichen. Panik vor dem totalen Blackout oder reiner Lobbyismus? Bei Umweltschützern jedenfalls läuten die Alarmglocken.
Denn statt über einen Ausstieg aus der Kernkraft nachzudenken, haben Atombefürworter wie Frankreich oder osteuropäische Länder bereits neue AKW geplant, die bald auch gefördert werden könnten. Die Entscheidung darüber fällt mit der Taxonomie-Verordnung: Das Papier legt fest, in welche Wirtschaftstätigkeiten nachhaltig investiert wird, weil sie die Umweltziele unterstützen. Künftig könnte in dieser Grünen Liste auch die Atomenergie stehen.

Atomgegner

Nur wenige Länder – darunter Österreich, Deutschland, Luxemburg, Dänemark und Portugal – stemmen sich vehement gegen die Pläne, die Hochrisikotechnologie als nachhaltig anzuerkennen. Die Österreicher wollen mit Atomstrom seit der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf 1978 nichts mehr zu tun haben, seit 1999 ist das strikte Nein sogar in der Verfassung verankert. Eine Chance, sich durchzusetzen, werden die Atomgegner dennoch kaum haben. Nur eine Zwei-Drittel-Mehrheit an EU-Mitgliedstaaten kann eine geförderte Atomkraft unter bestimmten Bedingungen verhindern. Voraussetzungen für die Aufnahme in die „Grüne Liste“ sind unter anderem die Einhaltung neuester technischer Standards und konkrete Pläne, wie der Atommüll ab spätestens 2050 entsorgt werden soll.
Letzteres zählt zu einem der größten Probleme der Kernenergie. In der EU existiert Jahrzehnte nach Beginn der Atomkraft noch kein einziges Endlager für hoch radioaktiven Müll, der immer mehr wird. Durch seine lange Halbwertszeit bleibt keine Alternative, als ihn unterirdisch zu lagern. Die Vorstellung, dass jeder Staat bald seinen Atommüll vergräbt und sich unter uns Berge von radioaktivem Abfall türmen, lässt den Nachhaltigkeitsgedanken jedoch immer mehr verblassen. Und trotzdem scheinen viele die negativen Seiten zu verdrängen, denn egal ob Atombefürworter oder Gegner, eines eint alle Länder: Die Mobilitätswende naht und dafür braucht es Strom – der Spagat zwischen dem wachsenden Energiebedarf und den stark steigenden Preisen will gemeistert werden. Experten rechnen mit einem Anstieg des Stromverbrauchs um etwa 14 bis 18 %. Da in weniger als zehn Jahren der flächendeckende Ausbau von erneuerbaren Energien nur schwer umzusetzen sein wird, wollen Länder wie Frankreich über kurz oder lang den Mehrbedarf mit Atomenergie ausgleichen. Die Kraftwerke sind bereits vorhanden, womit in kurzer Zeit kostengünstig viel Strom erzeugt werden kann.

CO2-Frage

Klimaneutral ist die Kernkraft allerdings nicht. Auch wenn aus den Kühltürmen nur Wasserdampf in die Umwelt gelangt, müssen viele Bauteile wie Stahlbetonwände, Pumpen oder die Elektronik erst produziert werden, womit die CO2-Bilanz von Kraftwerken schon vor der Inbetriebnahme in Schieflage gerät. Auch der Abbau, Transport und die Aufbereitung von Uran kostet Energie. Laut dem Weltklimarat (IPCC) ist eine Kilowattstunde Atomstrom für 3,7 bis 110 Gramm CO2 verantwortlich, das entspricht in etwa dem Niveau von Windenergie.
Da viele Emissionen schon beim Bau der Anlage entstehen, macht es klimatechnisch Sinn, eine bestehende Anlage weiterlaufen zu lassen.
Nach den Reaktorunfällen von Tschernobyl 1986 oder Fukushima 2011 mit Tausenden Toten hat sich aber auch Deutschland klar für den Ausstieg aus der Atomenergie entschieden. Denn die Sicherheitsfrage ist bis heute in Wirklichkeit ungeklärt. Die Umwelt bleibt zwar bei der Stromerzeugung von Schwermetallen und Radioaktivität weitgehend verschont, allerdings nur solange es zu keinen Zwischenfällen kommt. Passiert ein Atomunfall, sind die Folgen meist verheerend und nicht kalkulierbar. Ebenso wenig wie die Kosten für den Bau eines Kraftwerks.
Die Ausgaben für den britischen Meiler Hinkley Point C beispielsweise sind seit Baubeschluss 2016 von 21,5 auf 27 Milliarden Euro angestiegen. Zusätzlich kalkulierte der britische Rechnungshof 35 Milliarden Euro Zuzahlungen an Betriebskosten während der berechneten Laufzeit. Mit den hohen Kosten, dem Risiko eines Super-GAUs, der CO2-Frage und dem anfallenden Atommüll gibt es noch viele ungelöste Fragen zur Atomkraft, die die Gegner aufschreien lassen und eine Nuklear-Debatte entfachen.

Verseuchtes Wasser

Auch in Fukushima dreht sich heute noch alles um die Kernenergie und die Folgen des Unfalls. Täglich fallen rund 140 Tonnen an verstrahltem Wasser an, die inzwischen in mehr als 1.000 Tanks gelagert werden. Im Herbst werden die Behälter nicht mehr ausreichen, dann plant die Regierung die verseuchte Flüssigkeit verdünnt ins Meer abzuleiten. Nachhaltig und umweltschonend klingt anders.

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