DKS Barbara Haid
© AK Tirol/Friedle
13.10.2021

DGKP Barbara Haid im Interview: „Für viele sind wir unsichtbar!"

Barbara Haid arbeitet seit 22 Jahren auf einer onkologischen Station an der 
Universitätsklinik Innsbruck. Sie ist eine von vielen, die sich im Zuge der AK Kampagne „Pflege.Handeln.Jetzt!“ 
bereit erklärt hat, über den Alltag und die Probleme des Pflegepersonals zu sprechen. „Wir sind immer da und wir sind gern da, trotzdem ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht“, appelliert Haid im Interview mit der Tiroler Arbeiterzeitung an die Politik, endlich zu handeln.

TAZ: Frau Haid, Sie arbeiten seit 22 Jahren in der Pflege, hat sich Ihrer Ansicht nach der Personalmangel verschärft?
Barbara Haid: Ja, der Personalmangel ist viel schlimmer geworden. Ich war bereits als Schülerin auf der Station, auf der ich jetzt nach wie vor tätig bin. Damals gab es enorm viele Bewerberinnen, jetzt ist das anders. Es gibt viele offene Stellen und niemand bewirbt sich. Meines Wissens hatten wir generell auf der Klinik noch nie so viele offene Stellen wie zur Zeit.

ZITIERT

„Als ich das Zitat ‚Geld allein pflegt nicht‘ hörte, musste ich
lachen. Natürlich geht es ums Geld und um eine leistungesgerechte Bezahlung
unserer Arbeit.“

Barbara Haid,
Diplom-Krankenschwester

Woran liegt das?
Viele Junge tun sich die Belastung nicht mehr an. Es ist ein Knochenjob. Oft hat man das Gefühl, man würde Rollschuhe brauchen, auch, da sich unser Aufgabenbereich im Lauf der Zeit enorm erweitert hat. Und das muss man alles parat haben, jederzeit. Die Arbeit ist extrem fordernd und ich glaube, dass viele junge Menschen einen derartigen Job heute nicht mehr machen wollen. Es gibt ja genug Alternativen. Vor allem durch die Corona-Krise wissen jetzt die meisten, wie fordernd und wie belastend der Beruf wirklich ist, sowohl in physischer als auch in psychischer Hinsicht. In der Krise hat man uns beklatscht, aber man hat erstmals auch gesehen, wie sehr das Personal unter Druck steht. Deshalb weiß man heute viel genauer, worauf man sich einlassen würde.

Was sind die Hauptprobleme, mit denen man derzeit zu kämpfen hat?
Natürlich wird der Wechsel zwischen Tag- und Nachdienst mit zunehmendem Alter immer belas-tender, vielen fehlen auch die Planbarkeit und die Work-Life-Balance. Da gibt es vieles, was eben gerade jungen Menschen heute nicht mehr in ihre Lebensplanung passt. Auch der Verdienst für eine derart fordernde Arbeit entspricht nicht den Anforderungen. Als ich Gesundheitslandesrätin Leja im Fernsehen sah und das Zitat „Geld allein pflegt nicht“ hörte musste ich lachen, denn natürlich geht es ums Geld. Wir bekommen im Nachtdienst für die Stunde 3,68 Euro brutto zusätzlich. Da braucht sich niemand zu wundern, wenn die Frage auftaucht, warum man das noch machen soll. Dasselbe gilt für den Wochenenddienst, wo wir für 12 Stunden 40 Euro Zulage bekommen. Ich habe nichts gegen einen Umsatzersatz im Tourismus, wie er jetzt in der Corona-Krise ausbezahlt wurde, aber die Relationen stimmen einfach nicht mehr.

Fühlen sich viele Beschäftigte im Pflegebereich im Stich gelassen?
Gerade bei den Entscheidungsträgern sind einige der Ansicht, dass Pflege keine Fähigkeiten braucht. Auch Arbeitsminister Kocher hat dies in einem Artikel in der Wiener Zeitung so dargestellt. Wenn das aber die Einstellung gegenüber dem Pflegepersonal ist, dann werden wir in absehbarer Zeit nicht nur Betten, sondern ganze Stationen schließen müssen, weil kein qualifiziertes Personal mehr da sein wird. Wir sind jetzt schon an einem Punkt angelangt, an dem wir kaum noch gegensteuern können.

Fehlt die Wertschätzung dem Pflegepersonal gegenüber?
In der Außenwirkung ist es so, dass wir sehr geschätzt werden. Dabei wissen nur die wenigsten, was das Pflegepersonal wirklich leistet. Viele haben ein falsches Bild, etwa, dass man den ganzen Tag nur in der Teeküche sitzt und ab und zu einen Patienten betreut, dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Am Ende des Tages bist du völlig ausgepumpt, noch dazu, da es an Personal fehlt. Das führt natürlich dazu, dass man einspringen muss und so wieder zu wenige Erholungsphasen bekommt. Oft fühlt man sich schon alleingelassen, gerade auch im Umgang mit tragischen Fällen. Da kann man nicht einfach nach Hause gehen, einen Schalter umlegen und so tun, als wäre nichts gewesen. Das, was einen immer bei der Stange hält, ist die Wertschätzung, die einem die Patienten entgegenbringen. Der Beruf an sich wäre ja ein wirklich schöner, nur das Umfeld passt einfach nicht mehr. Vielen ist eben nicht bewusst, was alles zu unseren Aufgaben zählt. So gesehen sind wir für viele einfach unsichtbar. Gäbe es aber kein Pflegepersonal, würden die Patientinnen bzw. Patienten unversorgt bleiben.

Bei den Tirol Kliniken gibt es auch eine Diskussion um die Umkleidezeiten, die man nicht bezahlen will. Wie wirkt sich das auf das Klima aus?
Ich muss ehrlich sagen, nicht nur ich habe mich für diese Diskussion – man kann es nicht anders sagen – geschämt. Wenn man dem Personal quasi nahelegt, in Dienstkleidung zur Arbeit zu fahren, nur weil man die paar Minuten Umkleidezeit nicht bezahlen will, ist das beschämend. Gerade in Zeiten von Corona kann man doch niemandem zumuten, mit der Dienstkleidung im Zug oder im Bus zu sitzen, diese Diskussion war einfach nur peinlich. Gleichzeitig wird aber darüber gesprochen, dass man auf die physische und psychische Gesundheit des Pflegepersonals schauen muss. Wenn schon die Umkleidezeiten ein derartiges Problem darstellen, glauben Sie, dass sich die Politik wirklich um unsere Gesundheit sorgt? Würde sie das, hätten wir die Probleme nicht, vor denen wir jetzt stehen und die Jahr für Jahr größer geworden sind. Man kann das Pflegesystem nicht „gesund sparen“, wie einige das gerne möchten, im Gegenteil: Man spart es seit Jahren krank, solange bis wir uns eingestehen müssen, dass der Patient „Pflege“ nicht mehr zu retten ist.

Was müsste sich Ihrer Ansicht nach ändern, um nicht völlig in den Pflegenotstand abzugleiten?
Es braucht dringend eine Stundenreduktion, dann hätte man zumindest ein wenig mehr Freizeit. Zudem müsste der Grundgehalt angehoben werden. Und es braucht natürlich dringend mehr Personal. Ich bin Jahrgang 1969 und ich frage mich – wie viele in unserem Alter – ob wir diese Belastung bis 65 aushalten. Das ist auch der Grund warum viele aus dem Beruf austeigen, obwohl sie den Beruf immer gerne gemacht haben, aber so wie es in den letzten Jahren war, ist der Druck ständig gestiegen. Das hält fast keiner auf Dauer aus. Und wenn wir keine Jungen für die Pflege begeistern können und die Älteren ausbrennen, wird die Qualität der Pflege nicht mehr gewährleistet sein. Deshalb lautet mein Appell im Namen vieler an die Politik: Helft uns, denn sonst wird das System in absehbarer Zeit stillstehen.

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