
Birgit Seidl, Zentral-BR-Vorsitzende: Zwei-Klassen-Pflegesystem ist Skandal
Die Zentralbetriebsratsvorsitzende der Tirol Kliniken, Birgit Seidl, übt im Interview mit der Tiroler Arbeiterzeitung (TAZ) scharfe Kritik an der derzeitigen Haltung der Landespolitik in Sachen Vergütung. Verschiedene Systeme würden dazu führen, dass Mitarbeiter:innen ungleich behandelt werden und die Versorgung leidet.TAZ: Frau Seidl, Sie vertreten die Interessen von rund 9.000 Beschäftigten der Tirol Kliniken, mit welchen Problemen sind die Beschäftigten derzeit konfrontiert?
Birgit Seidl: Im Mittelpunkt der Diskussionen steht nach wie vor das Thema der Vergütungssysteme. Bereits 2014 begannen dazu in den Tirol Kliniken Verhandlungen, mit dem Ziel, die Vergütung in ein neues System zu gießen – in Anlehnung an das Vergütungssystem des Landes. Es wurden zuerst alle Gesundheitsberufe umgestellt, anschließend Verwaltung und Betriebspersonal. Damals wurde aber ein grundlegender Fehler gemacht: Die Umstellung sollte, um es vornehm auszudrücken, so wenig Kosten wie möglich verursachen und wurde deshalb von den Betroffenen kaum in Anspruch genommen. Für das Landesbudget war das damals zwar erfreulich, entwickelte sich aber immer mehr zum Problem, das letztlich eskalierte. Denn jetzt verhandeln wir Vergütungen im neuen System, während das Land für jene, die sich im alten System befinden, kein Interesse mehr zeigt. Immerhin sind im Moment 45 Prozent der Mitarbeiter:innen davon betroffen – sie haben keine Möglichkeit, in das neue System zu wechseln. Dadurch wächst natürlich die Unzufriedenheit, denn während es im neuen System Anpassungen gibt, treten alle, die sich im alten System befinden, auf der Stelle. Das ist ein klarer Nachteil.
Welche Möglichkeiten gäbe es, die Situation zu ändern?
Man könnte entweder ein Zeitfenster öffnen, in dem die Betroffenen in das neue System wechseln können, oder eine gesetzliche Überführung des alten in das neue System herbeiführen – aber seitens des Landes gibt es keine Bereitschaft für eine Lösung, egal in welche Richtung. Beides wird abgelehnt, und zwar ohne konkrete Begründung. Anstelle einen Konsens zu suchen, schlägt man lieber einen sehr gefährlichen Weg ein.
In welcher Form?
Aktuell überführt man die zum Betriebspersonal zählenden Handwerker per Gesetz mit 1. April in das neue Vergütungssystem, während dies den Mitarbeiter:innen im Gesundheitsbereich verwehrt bleibt. Es geht mir dabei nicht darum, dem Handwerksbereich die Überführung in das neue System abzusprechen, im Gegenteil, das ist, was wir gefordert haben, es kann aber nicht sein, dass nur ein Teilbereich herausgenommen wird, während der ohnehin massiv geschwächte Gesundheitsbereich links liegen bleibt. Man kann Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter nicht unterschiedlich behandeln, das ist der eigentliche Skandal dahinter.
Stecken Ihrer Ansicht nach finanzielle Motive hinter der Vorgehensweise des Landes?
Von allen Verhandlern auf Seiten des Landes gibt es nur die kategorische Ablehnung einer Umstiegsmöglichkeit und zwar ohne konkrete Begründung, sodass auch über ein finanzielles Motiv lediglich spekuliert werden kann, auch wenn es dahinterstecken mag.
Was müsste Ihrer Ansicht nach jetzt geschehen?
Der einzig logische Schritt ist, die Mitarbeiter:innen gleich zu behandeln und die Beschäftigten der Gesundheitsberufe ebenso gesetzlich in das neue System zu überführen. Da das aber ständig abgelehnt wird und unsere Vorschläge kein Gehör finden, haben wir eine Unterschriftenaktion ins Leben gerufen, die direkt an den Landeshauptmann gerichtet ist. Wir wollen noch einmal klarmachen, dass es in der derzeitigen Situation zu einer weiteren Verschärfung der Personalsituation kommen wird. Das konterkariert alle Pläne, die Gesundheitsversorgung zu sichern. Die Auswirkungen wird die Bevölkerung am Ende des Tages zu spüren bekommen.
Wie stehen die betroffenen Mitarbeiter:innen dazu?
Viele drohen derzeit mit Kündigung, vor allem in Bereichen, wo wir ohnehin ständig personell unterbesetzt sind. Sie sind von der Engstirnigkeit der Landespolitik einfach enttäuscht und wollen in den Privatbereich wechseln. Es ist auch deprimierend, wenn man einem Mitarbeiter mitteilen muss, dass er im neuen System finanziell besser gestellt wäre, aber es keine Option zum Wechseln gibt. Das ist ein unmöglicher Zustand.
Gesetzt den Fall, es sollte zur Öffnung eines Zeitfensters kommen, in dem die Betroffenen in das neue System übertreten können: Glauben Sie, dass viele wechseln würden?
Davon gehe ich aus, da Verhandlungen derzeit ja nur mehr im neuen System stattfinden. Es ist auch völlig ineffizient in zwei oder vielleicht sogar in drei oder vier Systemen zu verhandeln. Das Personal muss sukzessive übergeführt und in einem System behandelt werden, denn sonst haben wir nicht nur bei den Patient:innen, sondern auch bei den Gesundheitsberufen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Das werden wir als Arbeitnehmer:innenvertreter nicht so stehen lassen.
Wie ist die Personalsituation derzeit einzuschätzen?
Es hat sich in den vergangenen zwei Jahren leider weniger getan, als benötigt würde. Immerhin wurde mit der Anpassung der Gehaltsstruktur im gehobenen Pflegebereich von Landesseite ein wichtiger Schritt gesetzt. Es wurde auch die Abgeltung für die besonderen Belastungen wie etwa Nacht- bzw. Sonn- und Feiertagsdienste moderat angehoben, aber es bleiben nach wie vor viele Baustellen offen. Von einer wirklichen Entspannung der Situation kann man also nicht sprechen, auch deshalb ist es nicht nachvollziehbar, warum es beim Vergütungssystem seitens des Landes keine Bewegung gibt.
Das heißt aber, dass die Pflege nach wie vor eine Akutpatientin ist?
Wir sind abhängig von jeder Pflegekraft, daran wird sich nichts ändern. Und es gibt Bereiche, in denen eine weitere Ausdünnung beim Personal droht, sodass auch Stationsschließungen möglich sind. Deshalb lautet unser Appell an das Land, in die Umsetzung zu kommen, was das Vergütungssystem betrifft. Es wird hier mit der Versorgungssicherheit in Tirol gespielt, denn es ist sicherlich der falsche Ansatz, in der Gesundheitsversorgung sparen zu wollen. Das entspringt auch einer fehlenden Strategie und fehlender Kommunikation. Man spricht nicht davon, wie man die Versorgung in Österreich bzw. in Tirol auf sinnvolle Beine stellen könnte oder über Strategien dazu, sondern man hat nur das Sparziel vor Augen und das ist brandgefährlich.
Letztlich treibt man die Patient:innen, zumindest jene, die es sich leisten können, in die Zusatzversicherung und verschärft dadurch die Zwei-Klassen-Medizin. Das Solidaritätsprinzip ist leider aus der Mode gekommen und gerade die Gesundheitsversorgung ist ein wichtiger Indikator für soziale Ungerechtigkeit. Und angesichts des derzeitigen Zustands unseres Gesundheitssystems ist es ganz klar, dass diese soziale Ungerechtigkeit in den kommenden Jahren noch einmal massiv steigen wird, mit allen Konsequenzen für die Bevölkerung, aber auch für jene, die die politischen Entscheidungen treffen oder eben nicht treffen.
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