AK Präsident Zangerl im Porträt
© AK Tirol/Friedle

AK Präsident Erwin Zangerl: „Helden der Arbeit verdienen höhere Gehälter!“

Im Gespräch. „Wir sind aus einer Phase der Hochkonjunktur binnen weniger Tage in die schlimmste Rezession geschlittert. Die Gesundheitskrise darf nicht in einer sozialen Krise enden“, sagt AK Präsident Erwin Zangerl.

TAZ: Die Helden der Arbeit sind in aller Munde. Hat die Corona-Krise bewirkt, dass Berufe im Dienstleistungsbereich die nötige Anerkennung erfahren?
Zangerl:
Jede Anerkennung ist schön und gut, aber höhere Gehälter wären weitaus besser. Es ist bezeichnend, dass jetzt ausgerechnet Berufe mit prekären Einkommensverhältnissen wie etwa Pfleger, Erntehelfer, Lebensmittelverkäuferinnen und Lieferanten jene sind, die das System in der Krise am Leben halten. Man wird eine Diskussion darüber führen müssen, welche Wertigkeit diese Berufe auch im Finanziellen künftig haben müssen. Ich hoffe, dass diese Leute in Zukunft anständig bezahlt werden. Wir werden gemeinsam mit dem ÖGB dafür kämpfen, dass diese Berufsgruppen zumindest einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 1.700 Euro erhalten.

TAZ: Wie beurteilen Sie die Lage für die Beschäftigten in Tirol?
Zangerl:
Unserer Volkswirtschaft wurde eine Vollbremsung verordnet. Wir sind aus einer Phase der Hochkonjunktur binnen weniger Tage in die schlimmste Rezession geschlittert. Solche Arbeitslosenzahlen hatten wir seit 1945 noch nie: Wir haben mit Stand 1. April mehr als 43.000 Arbeitslose in Tirol und über 67.000 Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Mehr als 100.000 Arbeitnehmer erleiden derzeit in Tirol teilweise dramatische Einkommenseinbußen. Eine Katastrophe für Arbeitnehmer-Familien, wenn ein Einkommen gänzlich ausfällt. In vielen Haushalten musste schon vor der Krise jeder Euro zweimal umgedreht werden. Ganz zu schweigen von offenen Krediten zur Schaffung von in Tirol so teurem Wohnraum.

OFFEN GESAGT

„Jene, die im ‚System‘ sparen wollten, dürften wohl eines Besseren belehrt worden sein!“

Erwin Zangerl,
AK Präsident

TAZ: Die Sozialpartner haben in einem Rekordtempo ein attraktives Kurzarbeitsmodell entwickelt. Warum machen nicht mehr Firmen davon Gebrauch?
Zangerl:
Kurzarbeit ist weitaus sinnvoller und kommt für alle Teile günstiger als Kündigungen. Davon profitieren inzwischen mehr als 900.000 Menschen in Österreich, 67.000 davon in Tirol. Leider haben allzu viele Unternehmen vorschnell ihre Mitarbeiter gekündigt. Dabei sollten Betriebe nachrechnen, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Kündigungen kommen die Arbeitgeber oft viel teurer als die Kurzarbeit. Denn in oft übereilten Kalkulationen bedenken sie zu wenig die Kosten durch den Verlust erfahrener Fachkräfte und eine erneute Personalsuche, wenn die Wirtschaft wieder anläuft. Würden das alle Firmen so sehen, würden sie den klaren Kostenvorteil der Kurzarbeit erkennen. Apropos nachrechnen: Beschäftigte, die wegen Corona gekün-digt wurden, zu einer einvernehmlichen Auflösung „überredet“ wurden oder deren befristetes Dienstverhältnis vorzeitig beendet wurde, können sich von unseren Juristinnen und Juristen ihre Ansprüche kontrollieren lassen. Wir kümmern uns um Ihre Rechte, berechnen die Ihnen zustehenden Ansprüche, intervenieren bei Ihrem ehemaligen Arbeitgeber, machen offene Forderungen geltend und geben Ihnen bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche Rechtsschutz, nötigenfalls auch vor Gericht.

TAZ: Wo muss den Beschäftigten jetzt besonders geholfen werden?
Zangerl:
Damit die Gesundheitskrise nicht in einer sozialen Krise endet, haben wir auf Landesebene sofort reagiert und den Härtefall-Fonds für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingerichtet. 20 Millionen Euro – davon 2 Millionen von der AK Tirol – stehen bereit. Zusätzlich hat der Bund ebenfalls für Familien, die wegen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einen Härte-Fonds mit vorläufig 30 Millionen Euro eingerichtet. Damit das soziale Netz möglichst dicht geknüpft ist. Die Regierung hat aber auch bekräftigt, dass es kein Abgleiten von der Arbeitslosen- in die Notstandshilfe geben wird. Demnach sollen die Arbeitslosen-Monate der Corona-Krise nicht auf jene Zeit angerechnet werden, nach der Arbeitslose nur noch die deutlich niedrigere Notstandshilfe erhalten.

TAZ: Wo sollte nachgebessert werden?
Zangerl:
Eine existenzielle Absicherung für geringfügig Beschäftigte fehlt derzeit in den Maßnahmenpaketen der Regierung völlig. Geringfügig Beschäftigte sind nicht in Kurzarbeit einbezogen und auch nicht in den Härtefallfonds. Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Außerdem haben sie ohne Einkommen keinen ausreichenden Schutz in der Krankenversicherung. Es dürfen nicht diejenigen ausgeschlossen werden, die die Unterstützungsleistungen am Notwendigsten brauchen. Offen ist auch, wie man jenen Betroffenen helfen kann, die bereits vor Ausbruch der Krise arbeitslos waren und jetzt noch weniger einen Arbeitsplatz finden, weil die Wirtschaft auf ein Minimum zurückgefahren werden musste.

TAZ: Wie sehen Sie die kommenden Monate?
Zangerl:
Der Sozialstaat hat seine bisher härteste Bewährungsprobe erlebt und bewiesen, wie wichtig er für uns alle ist. Auch jene politischen Strömungen, die im „System sparen“ wollten, dürften eines Besseren belehrt worden sein. Zu hoffen bleibt, dass diese Krise für all jene eine heilsame Lehre ist. Jetzt muss offen über die Verteilungsgerechtigkeit diskutiert werden. Damit meine ich eine Solidarabgabe, eine zumindest temporäre Millionärssteuer, um die massiven öffentlichen Hilfen zu finanzieren. Gerade die, die auf die Butterseite des Lebens gefallen sind und Millionen am Konto haben, müssen ihren Beitrag leisten. Diese Mittel sollten aber zu 100 Prozent in die Schuldentilgung und nicht ins Budget gehen. Wir erwarten, dass  Gewinne börsennotierter  Unternehmen als Solidarbeitrag befristet an den Staat geleistet werden.

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