Euregio: Tiroler wünschen weniger Arbeitsstunden
Im 2. Teil der Studie ging es um die Arbeitsbelastung. Arbeitszeiten sind in Tourismus, Baugewerbe und Landwirtschaft besonders problematisch.
Wie steht es um den sozialen Umgang am Arbeitsplatz in der Europaregion? Helfen sich Führungspersonal und Mitarbeiter:innen in den Betrieben an Inn, Eisack und Etsch gegenseitig? In welchem Ausmaß kommt es bei der Arbeit zu Diskriminierungen, Benachteiligungen und Mobbing? Gemessen auf einer Skala zwischen 0 und 100 ist die Hilfsbereitschaft am Arbeitsplatz in der Euregio mit einem Punktwert von 76 fast exakt auf EU-Niveau (77) und unter Handwerkern am besten ausgeprägt (78 Punkte). Europaregionsweit hat durchschnittlich fast einer von zehn Beschäftigten (9 %) im Jahr vor der Befragung irgendeine Form von Diskriminierung und Benachteiligung erlebt, im Bundesland Tirol aber sind es 15 %. „Für Diskriminierung und Benachteiligung jeglicher Art darf im Job kein Platz sein und Betroffene sollen sofort das Beratungsangebot der AK Tirol in Anspruch nehmen“, sagt dazu AK Präsident Erwin Zangerl.
Wie sind die Arbeitsbedingungen im Bundesland Tirol, in Südtirol und im Trentino? Dieser Frage geht die Euregio-Studie zu den Arbeitsbedingungen nach. Ganz nach dem europäischen Vorbild der alle fünf Jahre europaweit stattfindenden Erhebung der Arbeitsbedingungen von Eurofound (EWCS) haben die Euregio und ihre Partnerinstitute Arbeiterkammer Tirol, AFI | Arbeitsförderungsinstitut Südtirol und Agenzia del lavoro im Trentino 2022 eine umfassende Befragung mit 4.500 Interviews (1.500 pro Landesteil), durchgeführt. Bei der heutigen Pressekonferenz, die nach dem Rotationsprinzip in Innsbruck stattfand, wurden die Ergebnisse zum sozialen Umgang am Arbeitsplatz vorgestellt.
Überall in der Europaregion lautet die Devise: Am Arbeitsplatz hilft man sich gegenseitig. Gemessen auf einer Skala zwischen 0 (schlecht) und 100 (ausgezeichnet) sorgt dies mit einem Punktwert von 76 (der EU-Durchschnitt ist 77) für ein solides Ergebnis und gilt für alle Branchen gleichermaßen. Unter den Berufsgruppen stechen die Handwerker hervor, die sich am meisten gegenseitig unterstützen (78 Punkte). Bediener von Anlagen und Maschinen sowie Fachkräfte in Land- und Forstwirtschaft liegen mit 73 Punkten dahinter nach. Erfreulich: Männer und Frauen helfen sich gleich oft, genauso wie sämtliche Beschäftigte ungeachtet der Bildungsabschlüsse. Eine Rolle spielt hingegen das Alter: Beschäftigte unter 35 fühlen sich deutlich häufiger unterstützt als Beschäftigte über 50. Das kann strukturelle Gründe haben, Ältere sind häufiger (einsame) Führungskräfte oder werden zum alten Eisen gezählt. Eine wohlwollende Interpretation wäre, dass ältere Arbeitskräfte weniger Hilfe benötigen, weil sie alle Kniffe ihres Berufs schon kennen.
Unter Benachteiligung werden sozial schädliche Verhaltensweisen wie Beleidigungen, Bedrohungen, unerwünschte sexuelle Annäherungsversuche bis hin zu Mobbing und Gewalt verstanden. Ausgehen können diese von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen, aber auch von den „Endnutzern“, sprich Kunden, Schüler:innen, Patient:innen. Insgesamt liegt die Europaregion mit knapp einem Betroffenen auf zehn Beschäftigte (9 %) fast gleichauf mit dem EU-Durchschnitt von 10 % (gleichzeitig auch der Wert Österreichs und Italiens). Innerhalb der Euregio sticht das Bundesland Tirol mit einem Wert von 15 % negativ heraus. „Grundsätzlich kann es schon sein, dass es im Bundesland Tirol am Arbeitsplatz wirklich rauer zugeht als südlich des Brenners, oder aber – und das wäre positiv zu werten – es besteht mehr Bewusstsein, dass ein bestimmtes Verhalten nicht ok ist“, erklärt AFI-Forscher und Arbeitspsychologe Tobias Hölbling, der die Daten eingehend analysiert hat.
Frauen berichten übrigens überall in der Europaregion davon, häufiger (11 %) als Männer (9 %) mit aggressivem Verhalten am Arbeitsplatz konfrontiert zu werden – wiederum gibt es innerhalb der Europaregion ein deutliches Nord-Süd-Gefälle zu Ungunsten des Bundeslandes Tirol.
Kann es wirklich sein, dass es im Bundesland Tirol schlechter um den sozialen Umgang am Arbeitsplatz bestellt ist als in den beiden anderen Landesteilen der Euregio? Eine Hypothese ist, dass es tatsächlich reale Unterschiede bei den sozialen Verhaltensweisen gibt. Demzufolge würden in der Nord- und Osttiroler Arbeitswelt allgemein rauere Sitten und ein rauerer Umgangston herrschen als in Südtirol oder dem Trentino, was sich entsprechend in der Bewertung niederschlagen würde.
„Fakt ist, dass das Bundesland Tirol bei den allgemeinen Diskriminierungserfahrungen mit einem Wert von 15 % nicht nur in der Euregio negativ hervorsticht, sondern auch deutlich über dem österreichischen Durchschnittswert von 10 % liegt, was doch Anlass zu einer gewissen Besorgnis ist“, gibt Arbeiterkammer-Präsident Erwin Zangerl zu bedenken.
Fruchtbringender als die Frage nach der Ursache von Bewertungsmustern (mehr tatsächliche Vorkommnisse, kulturelle oder strukturelle Gründe) ist die Frage, ob sich Unternehmen oder Organisationen benachteiligendes Verhalten unter ihren Mitarbeitern bzw. von Seiten der Chefetage überhaupt leisten können. „Kommen in der Belegschaft diskriminierende Verhaltensweisen über einen längeren Zeitraum vor, wirkt sich das negativ auf die Leistung des Unternehmens oder der Organisation aus“, sagt AK Präsident Zangerl und Arbeits-Landesrätin Astrid Mair fügt hinzu: „Das wird dann verständlich, wenn man bedenkt, dass betroffene Mitarbeiter psychische Ressourcen wie Aufmerksamkeit oder Konzentration, die eigentlich zur Aufgabenbewältigung im Sinne des Unternehmens eingesetzt werden sollten, für die Bewältigung einer emotional schwierigen Situation am Arbeitsplatz aufwenden müssen.“ Die Folge: Die Leistungsfähigkeit und Leistungswille werden geringer, Krankenstände werden häufiger und der Arbeitsplatzwechsel wahrscheinlicher – das alles ist mit Kosten für den Betrieb verbunden.
Im wohlverstandenen Eigeninteresse sollen also private und öffentliche Arbeitgeber bestrebt sein, ein Klima zu schaffen, das gegenseitige Unterstützung fördert und benachteiligende Verhaltensweisen möglichst einschränkt, so die Partnerinstitute Arbeiterkammer Tirol, Arbeitsförderungsinstitut AFI und Agenzia del lavoro unisono.
Auch Landesrätin Mair ist überzeugt, dass die heimischen Unternehmen von dieser Studie sehr profitieren, indem sie entsprechend darauf reagieren. „Denn gute Arbeitsbedingungen zahlen sich gleich mehrfach aus: Sie helfen bei der Anwerbung neuer Fachkräfte, sie beugen Berufskrankheiten und Unfällen vor, schützen vor Burn-out und halten Beschäftigte auch im höheren Erwerbsalter noch fit. Nicht zuletzt entlasten sie auch das Gesundheitssystem“, betont Mair.
Alle Details finden Sie rechts als Download.
Für Fragen steht Dr. Domenico Rief, der Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der AK Tirol, zur Verfügung unter Tel. 0800/22 55 22 - 1455 bzw. domenico.rief@ak-tirol.com
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