Euregio: Tiroler wünschen weniger Arbeitsstunden
Im 2. Teil der Studie ging es um die Arbeitsbelastung. Arbeitszeiten sind in Tourismus, Baugewerbe und Landwirtschaft besonders problematisch.
Wie steht es um die Arbeitsbedingungen in der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino? Nach zwei Jahren Vorarbeit konnten am 25. Mai 2022 in Innsbruck die ersten Ergebnisse der 4.500 Interviews umfassenden repräsentativen Umfrage vorgestellt werden. Die Veranstaltung zum Auftakt nahm dabei die körperlichen und psychischen Belastungen näher in den Blick. Das Fazit: Bei den körperlichen Belastungen ist ein klares Nord-Süd-Gefälle erkennbar. Besonders problematisch sind allerdings die psychischen Belastungen. „Sie sind nicht nur intensiver als die körperlichen Belastungen, sondern treten auch in allen drei Regionen gleichermaßen auf“, gibt AK Präsident Erwin Zangerl zu bedenken. Spitzenreiter in beiden Belastungsbereichen sind die Problembranchen Gesundheits-/Sozialwesen sowie Hotellerie/Gastronomie. Zangerl wies auch darauf hin, dass die Ergebnisse nun das bestätigen würden, was man befürchtet hatte, nämlich dass die Arbeitsbedingungen nicht immer so gut wären, wie angenommen. „Nun liegen konkrete Zahlen erstmals vor, auf dieser Basis müssen wir versuchen, die Arbeitsbedingungen in der betrachteten Europaregion zu verbessern“, so Zangerl.
Wie sind die Arbeitsbedingungen im Bundesland Tirol, in Südtirol und im Trentino? Diese Frage ist in der Euregio-Studie zu den Arbeitsbedingungen analysiert worden. Ganz nach dem europäischen Vorbild der alle fünf Jahre europaweit stattfindenden Erhebung der Arbeitsbedingungen von Eurofound (EWCS) haben die Euregio und ihre Partnerinstitute Arbeiterkammer Tirol, AFI | Arbeitsförderungsinstitut Südtirol und Agenzia del lavoro im Trentino eine umfassende Befragung mit 4.500 Interviews (1.500 pro Landesteil), durchgeführt. Wie der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter unterstrich, „ermögliche die Studie erstmals, interregionale Vergleiche anzustellen und Rückschlüsse auf relevante Standortfaktoren zu ziehen, welche einen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen haben“.
Aus der Vogelperspektive der Europaregion betrachtet zeigt sich bei sehr vielen körperlich belastenden Messgrößen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Die Arbeitnehmer:innen im Bundesland Tirol sind beispielsweise stärker von körperlichen Arbeitsbelastungen geprägt (Index: 26 Punkte) als es die Beschäftigten in Südtirol (23) sind. „Die Beschäftigten im Trentino weisen hier mit 19 Punkten den besten Wert auf, sind also beispielsweise starkem Lärm, dem Tragen von schweren Lasten oder Kontakt mit chemischen oder ansteckenden Stoffen weniger ausgesetzt als in den anderen beiden Regionen“, führte Projektkoordinator und Arbeitspsychologe Tobias Hölbling aus.
Psychisch belastende Arbeitsbedingungen wie Arbeitsverdichtung (hohe Arbeitsgeschwindigkeit, Zeitdruck usw.) und emotionsbedingte Arbeitsbelastungen (schwierige emotionale Situationen erleben, sich auch in der Freizeit um die Arbeit Sorgen machen müssen usw.) sind demgegenüber in der gesamten Europaregion grundsätzlich deutlich stärker ausgeprägt als die körperlich belastenden Arbeitsbedingungen. Hölbling hierzu: „Gerade Südtirol sticht in fast allen Branchen bei psychisch belastenden Arbeitsbedingungen negativ heraus, der psychische Druck ist hier am höchsten.“
So richtig problematisch werden belastende Arbeitsbedingungen dann, wenn mehrere Faktoren zusammenwirken, wie es bei einigen Wirtschaftszweigen ganz deutlich der Fall ist: Im Gesundheits-/Sozialwesen, in Hotellerie/Gastronomie und zum Teil in Erziehung/Unterricht erzeugt das Zusammentreffen von körperlichen und psychischen Faktoren jene Mehrfachbelastung, die auf die Dauer besonders schädlich wirkt. Der Grund: In allen drei Branchen wird mit Menschen gearbeitet: Kranke und alte Menschen, „erholungswütige“ Gäste und quirlige Kinder samt ihren Eltern fordern zusätzlichen emotionalen Tribut. „Diese Belastungen summieren sich und machen die Arbeit in diesen Wirtschaftszweigen für immer weniger Beschäftigte attraktiv, was bei der Bedeutung dieser Branchen für den Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft der Europaregion zu einer schweren Hypothek werden kann“, gibt in diesem Zusammenhang AFI-Direktor Stefan Perini zu bedenken.
Auffällig ist, dass das Bundesland Tirol in vielen Belangen schlechter abschneidet als das Trentino, und Südtirol sehr oft eine Mittelposition einnimmt. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Die Arbeitsbedingungen können zum einen tatsächlich unterschiedlich sein – eine Region macht es schlichtweg besser als die anderen, oder aber es besteht eine unterschiedliche Problemwahrnehmung: Was in dem einen Landesteil bereits als belastend empfunden wird (z. B. starker Lärm oder emotional schwierige Situationen bei der Arbeit), ist im anderen ganz normal. Eine solche kulturell bedingte „Wahrnehmungsbrille“ ist für einen anderen Bereich, nämlich die Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit, bereits gut erforscht. Dazu die Direktorin der Landesarbeitsagentur Trient, Isabella Speziali: „In diesem Fall würden vermeintlich gute Werte dann schnell zu einem Bumerang, weil Probleme nicht erkannt werden und dementsprechend keine Abhilfe geschaffen wird.“
Die nächste Veranstaltung zum Thema „Arbeitszeiten“ findet in Trient im Herbst 2022 statt.
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