1918-1933: Gründung & erste Erfolge
In der jungen Republik Österreich können sich die ArbeiterInnen und Angestellten schließlich durchsetzen. Die Arbeiterkammern entstehen. Zusammen mit den Gewerkschaften können diese in wenigen Jahren viel bewirken.
1918
Österreich wird eine demokratische Republik. Die Konzentrationsregierung aus Sozialdemokraten, Christlichsozialen und Deutschnationalen unter Staatskanzler Karl Renner schafft bis 1920 die Grundlage für eine vorbildliche Sozialgesetzgebung.
1919
Der Kongress der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften fordert kategorisch die Errichtung von Arbeiterkammern als „Schutzschild“ für die sozialen Errungenschaften. Auch die christlichen Gewerkschaften machen sich für die Errichtung von Arbeiterkammern stark.
1920
Am 26. Februar beschließt das erstmals wirklich demokratisch gewählte Parlament („konstituierende Nationalversammlung“) der jungen Republik Österreich das Gesetz über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte. Die Arbeiterkammern sollen den Handelskammern als „gleichwertige Partner“ gegenüberstehen. So soll „ein Zusammenwirken der beiderseitigen Körperschaften bei der Lösung von wichtigen Aufgaben der wirtschaftlichen Verwaltung ohne Schwierigkeiten möglich sein“ – ein erstes Konzept für die Sozialpartnerschaft.
1921
Gleichstellung mit Handelskammern
Die Arbeiterkammern werden gesetzlich völlig mit den Handelskammern gleichgestellt. An jedem Standort einer Handelskammer wird auch eine Arbeiterkammer errichtet. Diese Rechtsgleichheit ist die für die GewerkschafterInnen Ausdruck der Anerkennung der Arbeiterschaft als vollwertige BürgerInnen durch die demokratische Republik.
Die ersten AK-Wahlen finden statt.
ArbeiterInnen und Angestellte wählen in allen Bundesländern eine Vollversammlung. Die Vollversammlung der AK Wien wählt Franz Domes, den Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes und der Reichskommission der freien Gewerkschaften zum ersten AK-präsidenten. „Aufbaudirektor“ und Vorsitzender der Arbeitersektion wird der Textilarbeiter Ferdinand Hanusch, bis zu seinem Ausscheiden aus der Regierung 1920 Sozialstaatssekretär und Vizekanzler.
Österreichische Arbeiterkammertag tritt zusammen
Im November 1921 tritt erstmals der Österreichische Arbeiterkammertag aus Delegierten aller AK-Vollversammlungen zusammen; nur Kärnten, wo erst 1922 gewählt werden kann, fehlt. Alle anderen Kammern können jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Die Vertretung gegenüber der Bundespolitik wird der AK in Wien übertragen. Die AK soll „den Gewerkschaften ein Apparat sein, die Wirtschaft zu durchleuchten, sozialpolitisch das Gestrüpp der gesetzlichen Einrichtungen zu durchdringen und arbeitsrechtlich alles verteidigen zu helfen“.
Top-ExpertInnen der ersten Stunde
Ein Mitarbeiterstab aus Top-ExpertInnen, unter ihnen der Jurist Edmund Palla als Büroleiter, Fritz Rager als Sozialpolitiker, Benedikt Kautsky als Wirtschaftswissenschaftler und Fritz Brügel als Bibliotheksleiter und Bildungsexperte, verschaffen dem Wiener AK-Büro bald großes Ansehen. Als Referent für die AK-Kurse konnte unter anderem Universitätsprofessor Hans Kelsen, Autor der österreichischen Bundesverfassung, gewonnen werden.
Die Arbeitslosenversicherung ist eine der Errungenschaften aus der sozialpolitischen Offensive zu Beginn der Republik.
Arbeitslosenversicherungsbeirat
Die AK setzt noch 1921 einen „Arbeitslosenversicherungsbeirat“ durch, dem AK- und Handelskammervertreter angehören, um die Kontrolle der Betroffenen über die Verwendung der Mittel sicherzustellen.
1923
Die AK setzt durch, dass die im Kollektivvertrag (KV) vereinbarten Löhne auch nach Kündigung des KV weiterbezahlt werden müssen, bis ein neuer KV-Abschluss ausverhandelt ist.
Aufgrund einer AK-Initiative wird die Notstandsunterstützung nach Ablaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld eingeführt.
In Zusammenarbeit mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften und sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament setzt die AK das „Gesetz zum Schutz der inländischen Arbeitnehmer“ durch. Eine Zuwanderungskontrolle und der Schutz für politische Flüchtlinge werden gleichzeitig eingeführt.
1924
Der „Jugendbeirat“ der Wiener AK wird gegründet. Die Jugendorganisationen der sozialdemokratischen und christlichen Gewerkschaften sowie sozialdemokratische und katholische Jugendorganisationen sind darin vertreten – unter anderem durch zwei spätere Sozialminister: Anton Proksch und Grete Rehor. Das „Jugendparlament der Ersten Republik“ ist wesentlich an der Durchsetzung von Fortschritten bei der Lehrlingsgesetzgebung beteiligt. Es hilft aber auch entscheidend bei der Lehrlingsschutz- und Unterstützungstätigkeit der AK, vor allem für arbeitslose Jugendliche.
1925
Im erst kurz zu Österreich gekommenen Burgenland wird ein der AK Wien angeschlossener „Arbeiterkammerausschuss“ geschaffen. Die Arbeiterkammern Niederösterreich und Wien gehören zusammen.
Bei der AK in Wien wird unter der Leitung von Käthe Leichter, einer der bedeutendsten österreichischen Wissenschaftlerinnen des 20. Jahrhunderts erstmals in einer Arbeiterkammer ein Referat für Frauenarbeit eingerichtet, das Grundlagenarbeit zur Verbesserung der Lage der Arbeitnehmerinnen leistet. Erstmals in Österreich wird damit die Situation der berufstätigen Frauen zu einem eigenständigen Forschungsgebiet.
1926
Unter wesentlicher Beteiligung des „Jugendbeirates“ gelingt es, die Behaltefrist für LehrabsolventInnen durchzusetzen. Die Lehrbetriebe sind verpflichtet, die ausgelernten Fachkräfte mindestens drei Monate nach der bestandenen Lehrabschlussprüfung weiter zu beschäftigen.
Die zweiten AK-Wahlen finden statt.
1927
Die christlichen GewerkschafterInnen fordern eine Novellierung des AK-Gesetzes.
Ab 1929
Die Arbeiterkammern reagieren auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise und leisten unbürokratisch Hilfe: Brot und Kleidung werden verteilt, Aufenthaltsmöglichkeiten und Beschäftigungsprogramme angeboten. Etliche dieser Aktivitäten werden auch unter der austrofaschistischen Ständestaat-Diktatur ab 1934 weitergeführt.
1929
Unter den SchülerInnen der neuen sozialdemokratischen „Arbeiterhochschule“, die von den Arbeiterkammern wesentlich mitgetragen wird, befindet sich auch der spätere AK-Präsident und Wiener AK-Direktor der Zweiten Republik Karl Weigl. Die „Arbeiterhochschule“ ist eine Vorläuferin der heutigen Sozialakademie.
1930
Trotz der extremen Spannungen zwischen den politischen Lagern kommt es in der Vollversammlung der AK in Wien zu einer gemeinsamen Ablehnung des von der Regierung geplanten „Antiterrorgesetzes“, das die Einengung des gewerkschaftlichen Spielraums vorsieht. Nach einer Adaptierung, die für die christlichen Gewerkschaften positiv ist, stimmen diese aber dann dem Gesetz zu.
Auf Initiative des „Jugendbeirats“ wird in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wien die Aktion „Jugend in Not“ ins Leben gerufen, um der immer größer werdenden Zahl an arbeitslosen Jugendlichen zu helfen. Sie wird später zu „Jugend am Werk“ mit Arbeits- und Schulungsmöglichkeiten ausgeweitet.
Der Jugendbeirat verhindert noch einmal eine Gesetzesänderung, die etwa 10.000
arbeitslose Jugendliche um ihre Unterstützung gebracht hätte.
1931
Die vorgesehenen AK-Wahlen können nicht durchgeführt werden, weil wegen der hohen Arbeitslosigkeit rund eine Million ArbeitnehmerInnen von den Wahlen ausgeschlossen wären und überdies die Finanzierung der Wahlorganisation schwierig ist.
Bei einer Konferenz der Leiter aller österreichischer Arbeiterkammer-Büchereien wird angeregt, nach dem Beispiel der AK Kärnten und ähnlicher Projekte in Vorarlberg auch in den anderen Bundesländern Wanderbüchereien einzurichten, um vor allem für die ArbeitnehmerInnen in kleinen Gemeinden und Betrieben den Zugang zum Lesen zu erleichtern.
1933 und Anfang 1934
Der Weg in die Diktatur beginnt. Der christlich-soziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß stützt sich dabei auf die faschistischen Heimwehren. Im Frühjahr schaltet die Regierung Dollfuß mit einer vorgeschobenen Begründung den Nationalrat aus. Polizei riegelt das Parlament ab. Alle demokratischen Einrichtungen werden mit Hilfe von „Notverordnungen“ ausgeschaltet, auch in der AK. AK-Präsidenten werden durch staatlich bestellte Verwaltungsräte ersetzt. Die Stärke der Fraktionen in den Vollversammlungen soll nicht mehr durch demokratische Wahlen bestimmt werden.