
AK Präsident Zangerl: "Beschäftigte dürfen nicht die Sündenböcke sein!"
Mit teils krassen Forderungen wird versucht, die Bewältigung der Krisen der letzten Jahre auf die Arbeitnehmer:innen abzuwälzen. Im Interview mit der Tiroler Arbeiterzeitung (TAZ) warnt AK Präsident Erwin Zangerl vor Lobbyismus zu Lasten der Beschäftigten. Während Corona haben die Arbeitnehmer die größte Wirtschaftshilfe der Zweiten Republik geleistet, der Dank ist ein permantes Schlechtmachen der Beschäftigten und eine Abwertung ihrer Leistungen, so Zangerl.TAZ: Herr Präsident, Sie haben die Aussagen von Industrie-Chef Georg Knill scharf kritisiert…
Erwin Zangerl: Ich habe das Gefühl, dass derzeit viele Köche in Österreich dabei sind, den Brei zu verderben. Wenn ich mir die Vorschläge von Herrn Knill und anderen ansehe, dann erkenne ich eine enorme Schieflage zwischen Arbeitnehmern und Arbeigebern. Und gerade diejenigen, die 80 % der Steuerlast tragen und die Österreich durch die Corona-Krise getragen haben, sollen nun massive Einschnitte hinnehmen, nämlich die Arbeitnehmer:innen. Dabei haben die österreichischen Beschäftigten im Sinne von ‚Koste es, was es wolle‘ mit ihrem Steuergeld während Corona die größte Wirtschaftssubvention der Zweiten Republik geleistet und Milliarden an Wirtschaft und Industrie abgeliefert. Der Dank ist jetzt ein permanentes Schlechtmachen der Arbeitnehmer:innen, die zu Sündenböcken einer völlig verfehlten Krisenpolitik und in diesem Sinne auch Wirtschaftspolitik gemacht werden. Hinzukommen dann noch täglich fast neue Expert:innen aus diversen Wirtschaftsforschungseinrichtungen, die uns ausrichten, wie schlecht es um Österreich steht und dass die Menschen den Gürtel enger schnallen müssen. Und dann frage ich mich, wer denn hier den Gürtel enger schnallen muss. Das lässt sich leicht sagen, wenn man zu den Begüterten gehört und nicht zu denjenigen, die kein Auskommen mit dem Einkommen finden und denen dann noch ausgerichtet wird, sie leisten zu wenig. Sogar die wirtschaftsnahe Agenda Austria hat mittlerweile erkannt, dass den Menschen das Vertrauen fehlt, was mich nicht wundert, wenn jeden Tag ein anderer Wirtschaftsweiser erklärt, dass wir quasi am Sand sind.
TAZ: Woran lässt sich das genau festmachen?
Zangerl: Lohnzurückhaltung, Senkung der Lohnnebenkosten, arbeiten bis 70, permanenter Sparzwang – und das obwohl die Einnahmen des Staates fließen wie nie zuvor, sind nur einige der Forderungen, die das Vertrauen in eine Bewältigung der Krise auf Augenhöhe untergraben. Die Ideen von Knill & Co. offenbaren in Wirklichkeit ein Wirtschaftsverständnis, das den überwiegenden Teil der Belastungen auf die Arbeitnehmer:innen abwälzen will, die für die derzeitige wirtschaftliche Situation aber nicht verantwortlich sind. Plötzlich haben wir wieder Vorbilder in Europa, wenn es darum geht, Österreich zukunftsfit zu machen, etwa Dänemark, wo das Pensionsantrittsalter auf 70 angehoben wurde. Ich frage mich, warum wir uns nicht während der Krisenjahre andere Länder zum Vorbild genommen haben, die mit der Inflation weit besser umgegangen sind als wir. Letztlich war eine verfehlte Wirtschaftspolitik Auslöser für das Budgetdefizit und Sparpaket.
TAZ: Zur Ausgabensenkung des Staates werden gerade die Pensionen ins Spiel gebracht. Was ist davon zu halten?
Zangerl: Anstelle Lösungen anzubieten, wie die vielen Langzeitarbeitslosen wieder in Beschäftigung kommen können bzw. wie Über-50-Jährige überhaupt bis zum Regelpensionsantrittsalter in Österreich in Beschäftigung gehalten werden können, will die IV das Pensionsantrittsalter erhöhen. Damit dann noch mehr Ältere von noch weniger Unternehmen angestellt werden. Zugleich redet man das österreichische Pensionssys-tem schlecht, das ist überhaupt eine Unart, sich die Fakten einfach zurechtzubiegen. Es wird nämlich verschwiegen, dass in diesen ‚Vorzeigeländern‘ wie Dänemark, Schweden oder den Niederlanden riesige börsengetriebene Pensionsfonds mit enormen Verwaltungskosten die Alterssicherung mitorganisieren. In Österreich fließen 100 Prozent der Beiträge direkt in die Leistungen und das System ist stabil, alles andere ist reine Panikmache.Wir wissen auch, dass sich die Arbeitnehmer:innen ihre Pensionen fast ausschließlich selbst finanzieren. Für 2025 wird der Deckungsgrad bei 85 Prozent liegen, der Reformbedarf liegt hier durchaus woanders.
TAZ: Neben den Pensionen geht es auch um die Löhne: Wirtschaft und Industrie führen die hohen Löhne als Hemmschuh an…
Zangerl: …sie verschweigen jedoch, dass der wirkliche Punkt die enorme Teuerung war, die über die Haushalte gerollt ist und weiter rollt – noch immer liegt die Inflation in Österreich deutlich über dem Euro-Raum (siehe Seite 2). In Wirklichkeit sehen wir hier den Kampf einer kleinen, organisierten Gruppe von Lobbyisten und sogenannten Experten gegen die österreichischen Arbeitnehmer:innen. Ich warne vor tendenziösen und teils unqualifizierten Aussagen, weil sie der Wirtschaft und dem Standort nicht helfen. Wirtschaft darf nicht zum reinen Selbstzweck werden – und eines ist klar: Lohnzurückhaltung löst die Probleme nicht, eine starke Wirtschaft braucht gute Löhne und keine Modellrechnungen und Prognosen nach dem Motto „was wäre, wenn“. Prognosen schaffen selten Vertrauen – in Bezug auf die Wirtschaft haben sie das in den letzten Jahren definitiv nicht getan.
Stichwort Preis-Lohn-Spirale
Zangerl: „Lohnzurückhaltung ist das Unwort des Jahres!“
Aus allen Rohren schießen derzeit Industrie und wirtschaftsliberale Ökonomen auf die Beschäftigten: Bei den Löhnen müsse jetzt „Zurückhaltung“ geübt werden. Dabei sind die Preise den Löhnen über zwei Jahre lang davongaloppiert, zum Leidwesen der Beschäftigten.
Zu teuer, zu leistungsfeindlich, zu unproduktiv: Derzeit lassen diverse Industrievertreter und Ökonomen kein negatives Bild aus, wenn es um die Beschreibung des österreichischen Arbeitnehmers geht. Die wirtschaftliche Situation Österreichs ist sicher schwierig: Das Bruttoinlandsprodukt war die letzten Quartale rückläufig und die Arbeitslosigkeit steigt. Gleichzeitig kämpft Österreich mit einer deutlich stärkeren Teuerung als der Rest der Eurozone. „Es werden gemeinsame Anstrengungen notwendig sein, um diese Situation zu bewältigen. Lohnzurückhaltung – als Unwort des Jahres – oder Nulllohnrunden schaden dem Standort aber mehr, als sie helfen“, so AK Präsident Erwin Zangerl. Zangerl erteilt auch der Forderung, dass die kommenden Lohn- und Gehaltsabschlüsse unterhalb der Inflationsrate liegen müssen, eine klare Absage.
Derzeit werden ja die Lohnkosten als Hauptursache für die missliche Lage herausgegriffen – das mediale Getrommel muss als strategische Aufbereitung des Bodens für die kommenden Lohnrunden im Herbst gewertet werden. Doch wie ist es überhaupt zur momentanen Situation gekommen?
Bereits Mitte 2021 begann die Inflation deutlich anzusteigen, um dann ab Anfang 2022, angetrieben durch Ukrainekrieg und enorme Preissteigerungen im Energiebereich, steil nach oben zu schießen. Im Oktober 2022 und Jänner 2023 wurde mit 11,6 Prozent Teuerung im Jahresvergleich der Höhepunkt erreicht. Die Preissteigerungen wurden bis Ende 2023 fast gar nicht kompensiert, sondern mussten voll von den Beschäftigten getragen werden (siehe Grafik): Der Tariflohnindex, der die kollektivvertragliche Einkommensentwicklung in Österreich widerspiegelt, liegt bis Ende 2023 deutlich unter dem Inflationsindex. Deswegen ist es auch grob irreführend, von einer „Lohn-Preis-Spirale“ zu sprechen – es ist umgekehrt: Zuerst steigen die Preise und erst mit monatelanger bzw. im Fall Österreichs sogar jahrelanger Verzögerung ziehen die Löhne nach. Die Teuerung bis dahin muss jedoch von den Haushalten „geschluckt“ werden. Unternehmen sind dagegen in der Lage, viel schneller zu reagieren.
Als konkretes Beispiel: Steigen die Preise am Weltmarkt, dann sind am nächsten Tag auch die Preise am Einkaufsregal höher. „Mir ist aus Industrie und Wirtschaft keine Aussage bekannt, in der jemand eine Zurückhaltung bei den Preisen fordert. Es geht nur um die Löhne – die Arbeitnehmer sollen sich der Wirtschaft unterordnen. Dabei wird allerdings vergessen, dass eine robuste Wirtschaft und ein robuster Konsum gute Löhne brauchen“, stellt Zangerl klar (siehe dazu auch AK Grafik).

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