Lena Marie Glaser
© Elodie Grethen
7.11.2022

Lena Marie Glaser im Interview: „Die Mitarbeiter wollen gehört werden“

In ihrem neuen Buch „Arbeit auf Augenhöhe“ beschreibt die „New Work“-Expertin Lena Marie Glaser die Arbeitswelt der Zukunft, in der ein Umdenken auf allen Ebenen stattfinden muss. Denn die junge Generation entscheidet heute nach anderen Kriterien: Sinn, Nachhaltigkeit, Wertschätzung und Mitgestaltung stehen im Mittelpunkt. Arbeitgeber werden sich darauf einstellen müssen, so Glaser im Interview mit der Tiroler Arbeiterzeitung.

Sie sagten in einem Interview, dass sich Arbeitgeber in Zukunft mehr bewegen müssen: Warum müssen sie sich mehr bewegen und vor allem wohin?
Lena Marie Glaser: In Zukunft werden sich die Arbeitgeber1) nicht mehr ihre Arbeitnehmer1) aussuchen können, sondern es wird umgekehrt sein. Das ist zum einen dem demografischen Wandel geschuldet, zum anderen sieht man deutlich, dass die jüngere Generation anders arbeiten will und dazu konkrete Forderungen stellt. Die Arbeitgeber sind damit oft überfordert und ich rate, in den Dialog mit den Bewerbern zu treten und zu versuchen, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die notwendig sind, um neue Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden

Haben die Arbeitgeber diesbezüglich Entwicklungen verschlafen?
Glaser: Viele haben immer noch nicht verstanden, dass sich die Arbeitswelt geändert hat. Es reicht nicht mehr, auf seiner Website das Unternehmen in schönen Worten anzupreisen, es geht jetzt um die realen Arbeitsbedingungen, die für die jungen Arbeitnehmer entscheidend sind. Die Arbeitgeber werden sich mehr an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren müssen.

ZITIERT

„Gering entlohnt zu werden, zu wenig Wertschätzung zu erfahren, zu wenig Fairness, zu wenig Möglichkeit, sich einzubringen – das sind die Punkte, die Junge nicht mehr akzeptieren wollen.“

Lena Marie Glaser


Klafft zwischen dem, was die Millenials2) wollen, und was am freien Markt angeboten wird, wirklich eine so große Lücke? Verlangen die Millenials zu viel?
Glaser: Die konkreteren Forderungen kommen von den noch Jüngeren, also der Generation Z3). Meine Generation, die Generation Y bzw. die Millenials, traut sich das in dieser Form noch gar nicht. Aber man spürt deutlich, dass auch ihre Vertreter sich unwohl fühlen, unabhängig von der Branche, in der sie tätig sind. Die Jungen haben an und für sich keine überzogenen Forderungen, sondern sie trauen sich einfach, das zu formulieren, was sie gerne hätten. Und sie üben Kritik an einer Arbeitskultur, wo viele schon mit 30 ins Burn-out schlittern, weil der Druck einfach enorm groß geworden ist.

Gewisse Wirtschaftsfunktionäre sehen die junge Generation als Generation, die auf Kos­ten ihrer Eltern bzw. Großeltern lebt und keinen Ansporn mehr zur Arbeit hat. Ist das so simpel?
Glaser: Man kann keine Generation kollektiv als faul oder als nicht leistungsbereit bezeichnen, weil das einfach falsch ist. Es geht hier lediglich um die richtigen Rahmenbedingungen, die eingefordert werden, und das ist für viele Unternehmen, die Jahrzehnte nach demselben Schema gearbeitet haben, schwer zu verstehen. Unplanbare Arbeitszeiten mit vielen Überstunden, gering entlohnt zu werden, zu wenig Wertschätzung zu erfahren, zu wenig Fairness, zu wenig Möglichkeit, sich einzubringen – das sind die Punkte, die Junge nicht mehr akzeptieren wollen. Aber wenn das Umfeld stimmt, dann stimmt auch die Leistungsbereitschaft. Gerade in jenen Branchen, die heute besonders unter dem Fachkräftemangel leiden, wurde zu wenig Wert auf einen Dialog mit den Beschäftigten gelegt, die Folgen davon sind ja bekannt. Schuldzuweisungen bringen aber nichts,  es muss ein Dialog entstehen und man wird sich in der Mitte treffen müssen.

Den Jungen, die mit verringerter Stundenanzahl arbeiten wollen, wird oft vorgehalten, dass sich das ja massiv auf die Pension auswirken wird…
Glaser: Meine Gespräche zeigen, dass viele von ihnen heute nicht mehr daran glauben, in 40 Jahren überhaupt eine Pension zu erhalten. Das ist die wahre Gefahr, die dahintersteckt, eine etwas fatale Sicht auf die Zukunft. Viele haben einfach Angst, nicht nur in Bezug auf den Klimawandel. Es fehlen auch die Anreize, weil viele Junge von vornherein sehen, dass sie sich beispielsweise kein Eigenheim leis­ten können, weil unerschwinglich oder dass sie keine Altersversorgung bekommen werden usw. Der Generationenvertrag muss diesbezüglich sicher überdacht werden.

Der AK Arbeitsklima-Index zeigt, dass ein Viertel der Beschäftigten ihren Job wechseln wollen. Wohin sollten sie wechseln, wenn die Arbeitskultur allgemein von überkommenen Mustern geprägt ist, wie Sie sagen?
Glaser: Das ist in der aktuellen Situation ganz schwierig. In diesem permanenten Krisenmodus sind viele froh, ihren Job zu haben. Aber die Unzufriedenheit ist trotzdem da und die Zahl der Unzufriedenen ist eben groß. Das führt dann zum sogenannten Quiet Quitting, quasi zur inneren Kündigung, die Menschen resignieren und damit verliert das Unternehmen einen einstmals motivierten Mitarbeiter. Das ist die große Gefahr.

Sie haben selbst in einem Ministerium gearbeitet: Glauben Sie, dass sich in so großen Verwaltungseinheiten bzw. in großen Betrieben die Strukturen so ändern lassen, dass ein wertschätzendes Betriebsklima entsteht, das junge Menschen fordern?
Glaser: Der Druck, Personal zu finden, ist auch in diesen Organisationen zu spüren, sodass hier schon zu beobachten ist, dass das Bewusstsein für eine Arbeitskultur auf Augenhöhe wächst. Vorangetrieben wird das oft von engagierten Führungskräften, die wissen, dass es Motivation und Ansporn ist, wenn Mitarbeiter die Möglichkeit haben, sich einzubringen. Von heute auf morgen wird sich das nicht ändern, aber ich bemerke, dass immer mehr Führungskräfte erkennen, wieviel Potenzial ihrer Mitarbeiter nicht genutzt wird, nur weil nach althergebrachten und überholten Methoden geführt wird. Entscheidend wird sein, wie schnell sich eine neue Generation an Führungskräften bildet, die erkennt, dass man viel mehr erreicht, wenn man Mitarbeiter ordentlich behandelt und einbindet.

1) bezieht sich auf m/w/d
2) Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis späten 1990er Jahre geboren wurde (Generation Y)
3) Nachfolgegeneration der Generation Y(Millenials). Zugerechnet werden jene, die 1997 bis 2012 zur Welt gekommen sind.

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