AK Präsident Erwin Zangerl
© AK Tirol/Hetfleisch
14.09.2022

AK Präsident Zangerl: "Wer auf freien Markt vertraut, wird im Winter frieren!"

Es darf keine Denkverbote mehr geben, in den Markt einzugreifen, um die Preise zu senken, fordert AK Präsident Erwin Zangerl im Interview. "Bei Corona hieß es ,Koste es, was es wolle!‘ – das erwarte ich mir im Sinne der Beschäftigten auch in puncto Bewältigung der Energiekrise“, so Zangerl in Richtung der Politik.

Herr Präsident, die Teuerungswelle rollt nach wie vor, eine zweistellige Inflationsrate wird befürchtet, zahllose Menschen sind verzweifelt und können sich das Leben aufgrund der gestiegenen Energiekosten kaum noch leisten. Wie könnte man dem entgegensteuern?
Zangerl: Wir kämpfen hier an zwei Fronten und müssen die Situation auf der europäischen Ebene ebenso im Blick haben, wie auf der  österreichischen. Und wir sehen einmal mehr, dass da wie dort viele Fehler gemacht wurden, vor allem aufgrund von Lobbyismus und Klientelpolitik. Das fällt nun den Österreicherinnen und Österreichern auf den Kopf. Sich etwa bei Gas von einem Anbieter derart abhängig zu machen, war natürlich falsch und so wie bei Corona wird nun wieder danach gerufen, dass in den Markt eingegriffen werden muss. Dabei schreien vor allem jene am lautesten, die vor der Krise die freie Marktwirtschaft so hochgelobt haben. Der Markt regelt ja scheinbar alles von selbst, wie uns die Neoliberalen ständig weis machen wollen, das ist aber ein Fake. Denn jetzt soll der Staat wieder retten, was am Markt falsch gelaufen ist, und soll die Fehler, die energiepolitisch gemacht wurden, ausbügeln. Aber das ist nicht ausschließlich ein österreichisches Phänomen. Doch eines ist sicher: Wer auf den freien Markt vertraut, wird im Winter frieren.

OFFEN GESAGT

„Der Markt wird aus Gründen der Gewinnoptimierung ständig manipuliert, bis es dann wieder zum Exzess kommt, siehe Bankenkrise oder jetzt eben Energiekrise.“

Erwin Zangerl,
AK Präsident

Die EU scheint sich nach langem Zögern auch der Dramatik der Energiesituation bewusst geworden zu sein...
Zangerl: Das wurde auch Zeit. Man hat jetzt gesehen, dass Putin das Erdgas quasi als Waffe einsetzt und damit die Grundlage für die Marktmanipulation liefert. Auch wenn spät darauf reagiert wird, so wird zumindest jetzt gehandelt. Gas- und Strompreise müssen entkoppelt werden, das Merit-Order-Prinzip, wonach Kraftwerke mit den höchsten Kos­ten den Strompreis bestimmen, gehört schnells­tens geändert. Ebenso bleibe ich dabei, dass Übergewinne abzuschöpfen sind und in die Entlas­tung der Bevölkerung bzw. in den Ausbau erneuerbarer Energieträger fließen müssen.

Mit der Strompreisbremse wurden aber bereits erste Schritte gesetzt...
Zangerl: Die Strompreisbremse in Österreich ist ein Anfang, es braucht aber auch einen Deckel bei anderen fossilen Energieträgern, auch wenn das viele sogenannte Wirtschaftsweise nicht so sehen und weiterhin auf den freien Markt vertrauen, der ja in Wirklichkeit nicht so frei ist, wie immer behauptet wird. Dahinter stecken immer Überlegungen von bestimmten Gruppen.

Wirtschaftswissenschafter sprechen aber davon, dass ein „toxischer Cocktail einer Markt­intervention“ und eine „Energieplanwirtschaft“ drohe…
Zangerl: Das ist die klassische neo­liberale Sicht. Der Markt wird aus Gründen der Gewinnoptimierung ständig manipuliert, bis es dann wieder zum Exzess kommt, siehe Bankenkrise oder jetzt eben Energiekrise. Nehmen wir nur das Beispiel Pellets: Hier liegen uns Informationen vor, dass der Preis von der Pellets-Lobby künstlich hochgetrieben und eine Verknappung inszeniert wird. Deshalb haben wir auch die Bundeswettbewerbsbehörde angerufen, die der Sache nun nachgehen wird. In so einer Extremphase wie jetzt kommen eben die Kriegsgewinnler und die ganzen Verflechtungen und Verfehlungen ans Licht – der freie Markt zeigt in solchen Situationen eben sein wahres Gesicht. Und seien wir uns ehrlich: Wenn sich ein Energieunternehmen wie die OMV bis 2040 von einem Anbieter abhängig macht, dann ist das wohl das Musterbeispiel einer Energieplanwirtschaft. Das hat keiner der Wirtschaftsweisen wirklich angeprangert und wohin uns diese Form der Abhängigkeit führt, zeigt sich jetzt deutlich.

Davon haben die Menschen derzeit aber wenig...
Zangerl: Das ist richtig, deshalb darf es keine Denkverbote mehr geben, in den Markt einzugreifen, um die Preise zu senken. Denn wenn nicht, drohen uns schwere soziale Verwerfungen. Die Hilfen und Unterstützungen müssen auch viel zielgerichteter werden und es braucht leicht administrierbare Hilfen. Ich hatte zwar gehofft, dass man aus der Vergabe der Corona-Hilfen gelernt hat, leider ist das nur bedingt der Fall. Die Energiekos­ten müssen aber noch aus einem anderen Grund sinken, denn wenn es deshalb zu Kurzarbeit, vermehrten Betriebsschließungen oder sogar Pleiten kommt, ist niemandem geholfen. Leidtragende sind dann einmal mehr die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dass die Konsumlaune deshalb zur Zeit schlechter ist als zur Zeit der Bankenkrise 2008 braucht da nicht zu verwundern. Ein Grund mehr, um den Markt zu stützen und endlich Strukturreformen auf den Weg zu bringen.

Was erwarten Sie sich für den Herbst?
Zangerl: Bei Corona hieß es „Koste  es, was es wolle!“ – das erwarte ich mir im Sinne der Beschäftigten auch in puncto Bewältigung der Energiekrise. Zudem erwarte ich mir eine Zusammenarbeit aller Entscheidungsträger, damit die Preisspirale zumindest gestoppt wird. Es darf keine Denkverbote mehr geben und Profilierungsneurosen sind hintanzustellen. Auch müssen wir in Tirol endlich alle Kräfte bündeln und neue Wege gehen. Etwa ein Kompetenzzentrum schaffen, wo Interessierte und Arbeitssuchende unter anderem in Gebäudetechnik und Elektromobilität ausgebildet werden, um Photovoltaikanlagen errichten zu können. Hier könnte auch eine Fülle von Lehrberufen angesiedelt sein, vom Heizungstechniker bis zum Ofensetzer –  Berufe, die die Zukunft bestimmen werden und die uns derzeit fehlen. Denn die Energiewende scheitert letztlich nicht am Geld, sondern am Fachpersonal, das sie durchführen soll.

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